Während meiner Fotosessions in der Natur der Berge kommt in mir bei der Betrachtung von Bäumen und anderen Pflanzen oft die Frage auf, “wie zum Teufel sind die hier hochgekommen und wie schaffen es diese Pflanzen überhaupt hier zu überleben?” Sturm, Kälte, Blitzschlag, Erdrutsche, Trockenheit oder meterhoher Schnee beeinflussen und bedrohen das Leben einer solchen Pflanze.
Diese Pflanzen entwickeln einen ungemeinen Überlebenswillen und trotzen den Naturgewalten. Wir Menschen sehen das aus einem unbewussten Grund, denn wir schauen ohne Aufforderung hin und erkennen diesen Ausdruck der Natur als etwas besonderes an. Es kommt einem manchmal fast vor, als ob sich das Leben Orte aussucht, wo es ihm besonders schlecht zu gehen scheint, um dadurch besser erkannt zu werden oder anders ausgedrückt, um sich einen besonderen Platz zu sichern, wo niemand anderes eingreifen kann. Nicht nur in den Bergen ist dies zu beobachten. Auch in Wüstengebieten oder erstarrten Lavafeldern sind Pflanzen zu finden, die quasi den Stein bzw. die Trockenheit mit ihrer Resilienz sprengen.
Interessant sind dabei die Bäume. Sie können durch Schneelast einknicken, durch Blitzschlag aufgerissen werden und sogar erst nach einem solchen Ereignis richtige Schönheit erlangen. Oder Erdrutsche reisen Sie aus ihrer „Verankerung“ im Boden. Trotzdem, selbst nach diesem natürlichen „Tode“, wenn alles Lignin aus dem Holz gewaschen wurde und nur mehr ein grauer Wurzelstock mit Stamm und leeren Ästen dasteht, strahlen die Bäume trotzdem eine Besonderheit aus. So als ob die Energie der Standhaftigkeit als ein Aspekt des Lebens sichtbar bleibt.
Aber dieses Prinzip geht sogar über das Leben der Pflanzen hinaus.
An was erinnert uns ein solches Verhalten? Vielleicht an uns selbst? “Warum zum Teufel bläst einem selbst im Leben immer so ein scharfer Wind entgegen”, würden jetzt wohl einige von Euch sagen? Oder, “warum bin ich hier, obwohl ich hier gar nicht sein will”? Bei manchen Menschen käme da vielleicht noch eine weitere drückende Frage hinzu, die an solchen alleinstehenden Motiven in der Natur ebenfalls sichtbar ist. Warum fühle ich mich so allein? Einsamkeit kann auf uns Menschen genauso bedrohend wirken wie Kälte oder Sturm in der Natur.
Chris Bradford, britischer Autor
Was ist also der Grund, dass diese Lebewesen in einem solch harten Klima bestehen können? Es kann nicht nur allein das sein, was für uns sichtbar ist. Es muss daher auch etwas Unsichtbares, etwas Verborgenes sein. Ist es vielleicht der Raum, der diesen Pflanzen dort oben zur Verfügung steht oder das viele Licht, das nicht geteilt werden muss. Was könnte es wirklich sein?
Aus meinen Beobachtungen während der Fotografie und meinen persönlichen Erfahrungen im Leben ist es das Fundament, die Wurzeln, was den Pflanzen im Leben Halt gibt. An den Bäumen kann man es besonders gut erkennen. Durch all die Einwirkungen der Natur werden Sie stärker, indem sie kraftvolle Wurzeln ausbilden. Diese haben einen großen Anteil daran, dass sie überleben können. Sie bleiben dadurch stehen oder anders ausgedrückt, sie sind ein Beispiel für Standhaftigkeit.
Und was meint ihr? Könnte diese Erkenntnis beim Menschen auch zutreffen? Richtig, ich denke Ihr könnt diese Frage auch selbst beantworten. Der Spruch “Was einen nicht umhaut macht ihn nur stärker” trifft hier sehr gut zu. Ohne stabiles Fundament im Leben ist es sehr schwierig “Halt” zu spüren, eben Wurzeln zu schlagen und diese größer werden zu lassen. Und diese Wurzeln entstehen nicht durch das dauerhafte Liegen an einem Pool. Nein, uns Menschen muss auch ein Wind entgegen wehen, damit unsere Wurzeln auch kräftig ausgebildet werden. Wir müssen sozusagen standhaft bleiben, Resilienz zeigen und so für unser Leben lernen. Dann werden unsere Wurzeln kräftig, weil sie uns stärker werden lassen und wir erst dann ein gutes Fundament besitzen.
Wie ein Baum der den Einflüssen der Natur ausgesetzt ist. Und ganz wichtig dabei ist, dies nicht aus wütender Haltung heraus, sondern mit Würde und Respekt zu sich selbst zu tun. Denn ein Baum ist auch nicht wütend. Trotz allen schweren Lasten besitzt er Schönheit, denn er denkt nicht darüber nach. Er ist nur im Jetzt. Wir Menschen können solche Erfahrungen ebenfalls in der Natur machen. Beim Fotografieren. Sehen ohne zu denken, Beobachten, Fühlen. Dies bewegt uns hin ins Jetzt.
Die Bibel, Der erste Brief an Timotheus 6,11
Ein solches Handeln, dass wir überall in der Natur sehen können, können wir auch verstehen und in uns aufnehmen. Einfach durch stille Beobachtung und dem bewussten Willen standhaft zu bleiben. Durch aufmerksames Beobachten in der Fotografie. Wenn wir standhaft bleiben, so werden wir durch diese Stärke auch gelassener. Wir bekommen mehr inneren Halt, unser Selbstbewusstsein, wie Wurzeln, die wachsen. Dabei löst sich die drückende Angst des Denkens auf und wir kommen in unsere Mitte.
Es gibt viele Worte, die eine solche Hingabe beschreiben:
Resilienz, Stärke, Wille, Halt, Ausdauer, Konstanz, Ruhe, Loyalität, Unendlichkeit, Fortbestehen, Stabilität, Toleranz, Robustheit, Vitalität, Zähigkeit, Trotz, Unbeirrtheit … eben Standhaftigkeit
Für mich ist es immer wieder interessant zu erkennen, was Fotografie alles möglich machen kann. Durch Aufmerksamkeit und Beobachtung. Es ist eben nicht die Technik oder die Gestaltung allein. Auf gar keinen Fall ist es das Foto allein. Hinter diesem Tun liegt ein tiefer Mehrwert, den wir für uns nutzen können. Einfach indem wir hinaus in die Natur gehen, beobachten, warten und uns begeistern und berühren lassen. Eben standhaft bleiben.
Beispiel-Event
zum Thema STANDHAFTIGKEIT:
Wandern im Hochgebirge und schlaflose Nächte, um das besondere Erlebnis unter den Sternen ausgiebig zu erfahren.
Dr. Günter Zöhrer