Dr. Günter Zöhrer
Die Emotionszeit ist jener Moment innerlicher, positiver Energie, die wir beim Fotografieren in uns erzeugen und nach dem Fotografieren mitnehmen. Während die fotografische Aufnahme das Abbild des Jetzt ist, ist das Gefühl das emotionale Abbild, das du in dir trägst, als Information, die dir in diesem Augenblick geschenkt wurde. Es ist jener Teil des Erlebnisses Fotografie, den du gerade eben erfahren und damit auch erlernt hast: Gegenwärtigkeit am eigenen Körper zu empfinden. Es ist die Freude an dem Moment, die Begeisterung als unterstützende Kraft, die nun deine Gedanken formt. Du bist jetzt nicht bei deinen Sorgen in der Vergangenheit verhaftet und überlegst warum etwas so war wie es war. Dadurch bist du gedanklich auch nicht in der Zukunft und projizierst etwas, was vielleicht einmal sein könnte. Es ist dieser besondere Moment in der wunderschönen Natur der Berge, der dich so berührt hat und in dir Enthusiasmus erzeugt, den du ganz intensiv fühlen kannst. Du bist frei von jeder Sorge, jeder Angst und jeder Illusion!
Die Emotionszeit kann auch als eine Form einer sich selbst bejahenden Autorität bezeichnet werden. Eine bedeutende positive Macht über dich selbst. Sie entsteht nicht durch deine Gedanken, sondern hat ihre Wurzeln viel tiefer. Sie ist in dir und du hast das Gefühl alles machen und tun zu können, was du dir vorstellst. Diese Vorstellungskraft ist wichtig, denn sie ist positiv, lebensbejahend und mit Dankbarkeit erfüllt. Es breitet sich Zufriedenheit in dir aus. Zufriedenheit diesen besonderen Moment an jenen besonderen Ort in der Natur erlebt zu haben. Es ist stille Dankbarkeit gegenüber dem was ist. Aus der Sicht eines Fotografen ist es sehr wichtig, genau diesen einen besonderen Moment auf ein Foto zu bannen, obwohl die unsichtbare Komponente in dir, die Energie, die dich dazu bewegt, diesen Moment zu fotografieren, eigentlich keineswegs abgebildet werden kann. Aber, da die Fotografie immer nur für dich selbst wunderbar sein sollte, ist die gefühlte Emotion dieses besonderen Ortes untrennbar mit dem Foto verbunden. Es sind deine Geschichten, die in den Fotografien erzählt werden. Geschichten über dein Erlebnis in der Natur. Fotografie ist das Ausdrucksmittel deiner Abenteuer, sie ist deine dokumentierte Emotion. Das ist Emotionszeit.
Die Ankunft zu Hause wird schon sehnsüchtig erwartet um den Familienmitgliedern, Freunden und Kollegen von deinen Erlebnissen zu erzählen, vor allem in Form deiner Fotos. Und nun, wer kennt das nicht? Die Bilder in das Bildbearbeitungsprogramm laden und ausgiebig betrachten, aussortieren, benennen, mit GEO Koordinaten versehen. Du gibst dich wiederum diesen Moment hin und lässt dich von nichts ablenken. Du bist noch immer präsent, auch zu Hause. Die Arbeit am Computer, das Entwickeln und Bearbeiten der Bilder, gehört zur Fotografie dazu, ob in analoger oder digitaler Form. Es sind Fotos entstanden, die für dich die höchste Bewertung bekommen. Du bist vollkommen konzentriert auf das was du gerade tust und kennst keine Müdigkeit bevor nicht alle Fotos fertig sind.
Die Bildentwicklung und Bildbearbeitung ist ein wichtiger Teil der Emotionszeit! Sie geschieht meist zu Hause und ist ein Teil deiner Emotion, die du mit nach Hause genommen hast. Sie entwickelt ebenfalls Kreativität. Das Wort Kreativität bedeutet im allgemeinen eine schöpferische Kraft (nach Wahrig). Ich habe aber oft den Eindruck, dass mit Kreativität nur das fertige Foto gemeint ist, was eigentlich gar nicht sein kann. Nein, ich bin der Auffassung, dass damit eigentlich alles rund um das Foto gemeint ist. Das Foto ist nur das Endergebnis. Alle positiven Energien, also das Zulassen von Kreativität, verspürst du sowohl zu den Fotozeiten an der Fotolocation, als auch später zu Hause vor dem Computer. Das lässt den Rückschluss zu, dass sowohl beim Fotografieren als auch bei allen anderen Tätigkeiten im Leben, immer Gegenwärtigkeit gefragt ist, wenn etwas funktionieren und gut sein sollte. Ich bezeichne somit die Energie des gesamten kreativen Prozesses als schöpferische Kraft. Wenn man ein Ziel vor Augen hat, in unserem Fall ein beeindruckendes Foto, dann müssen vor allem die einzelnen Schritte (Gehzeit – Ruhezeit – Kreativzeit – Emotionszeit) bis zum Ziel gewürdigt werden, auch wenn mal etwas nicht so läuft wie man es will, denn nur dann erzielt man ein hervorragendes Ergebnis.
Aber, wer kennt das nicht, irgendwann, nach ein paar Tagen, verschwindet das gute Gefühl, du wirst wieder müde, denkst an Dinge, die weit entfernt von dir sind, empfindest Sorgen und Angst, weil ein Projekt zu scheitern droht oder irgendetwas negatives passiert ist. Es sind nun wieder andere Dinge präsent, die deine Welt beherrschen. Warum eigentlich?
Als wir in der Gehzeit unser Fotomotiv erwanderten, taten wir etwas ganz Einfaches. Es war aber nicht das fotografieren. Ich nannte es die Bewegung von Körper und Geist, die begonnen hat, überschüssige Kalorien und Gedanken zu verbrennen. Jetzt befinden wir uns an einem Ort, wo es den Anschein hat, dass die negativen Gedanken wieder die Oberhand gewinnen. Du wirst langsam wieder “unbeweglich”, sowohl körperlich als auch geistig. Was tun dagegen? Dazu gibt es in der Literatur unzählige Werke, die Methoden beschreiben, damit du dich besser und freier fühlst. Ich habe viele davon studiert und bin auf ein einfaches Vorgehen gestoßen, das am hervorragendsten in den Publikationen von Eckhard Tolle beschrieben wird und das ich auch bei meinen Fotoseminaren verfolge. Ihre Kernaussage ist die fortwährende Pflege von Gegenwärtigkeit. Es ist das Annehmen genau des einen Momentes, in dem wir uns gerade jetzt befinden. Immer und überall. Ich meine nicht den Moment in 5 Minuten, 3 Stunden oder 2 Tagen. Nein, es geht um das Jetzt, das uns ständig begleitet. Die Zeitlosigkeit, die wir in den Bergen, beim Fotografieren, so einfach erlebt und erlernt haben. Beim Annehmen dieses einen Moments, der zeitlos ist aber kein Ende hat, geht es um das Loslassen von Widerstand gegenüber dem was jetzt ist. Denn Widerstand verursacht immer Schmerz. Wenn du dich deinem Leben zu Hause, in der Arbeit oder wo auch immer du dich die meiste Zeit befindest, wiedersetzt, ziehst du genau das an, was dir schadet. Dadurch wird der vorherrschende Zustand aufrechterhalten, indem ihm fortwährend die gleiche negative Energie zufließt, was in negativen Gedanken mündet.
Du kannst es aber auch anders machen. Zum Beispiel, dir als Fotograf ein neues fotografisches Ziel setzen. Eine unbekannte Foto-Location, eine besondere Zeit für das Fotografieren, bei einer bestimmten Wettersituation, und Schritt für Schritt auf dieses Ziel hinarbeiten. Wichtig ist dabei, dass du diese vorbereitenden Schritte würdigst, sie nicht als Mittel zum Zweck ansiehst, nur um das perfekte Bild zu erreichen. Die Würdigung kleiner Schritte verhilft dir dein Ziel leicht zu erreichen, auch wenn dazwischen ein Schritt nicht so abläuft, wie du es dir vorstellst. Dann beginnt die Gehzeit wieder von neuem und du beginnst in der Ruhezeit bewusst zu werden und in der Kreativzeit das Jetzt zu fotografieren. Du beginnst die Kraft des Sehens zu nutzen. Sie wird ein Teil von dir. Und dein gesamtes Wesen bleibt beweglich, weil du Freude empfindest an dem was du tust. Vor, während und nach dem Fotografieren.
Die Emotionszeit ist jener Teil der Fotografie, der in dir bleibt und mit dir geht. Als menschliche Erfahrung sowie als digitales Foto. Wenn du weißt, dass alles so wie es ist, gut ist, wirst du genau das Anziehen, was dir gut tut. Damit formst du deine Welt!
Also, erinnere dich immer daran was du in den Bergen gelernt hast. Sehe ohne zu Denken. Schaue mit deinem ganzen Körper. Nimm das Jetzt an aber urteile nicht. Nimm deine Emotionen einfach nur wahr. Ohne Ablehnung. Nimm diesen Moment, diese Situation, Dein Inneres und Äußeres vollkommen an! Fühle Dein pulsierendes Leben im Körper, immer und zu jeder Zeit, fühle deinen Körper von innen. (Anm. nach Tolle). Das ist die Kraft des Sehens, die du durch die Fotografie nutzen kannst. Sie führt dich immer ins jetzt und du kannst es an jedem Ort, wo du bist, anwenden.
Ich wünsche euch, dass ihr eure eigene Kraft des Sehens entdeckt und dass sie euch immer unterstützt und begleitet.
Günter